Intelligente Glas-Beschichtung senkt Gebäudeenergiebedarf

2022-06-30 07:41:13 By : Ms. Lucia Zhang

Elektro- und thermochrome Materialien die auf Wärme reagieren, könnten zukünftig maßgeblich zur Verschattung von Bürogebäuden beitragen: Forschende an den Fraunhofer-Instituten ISC und FEP arbeiten derzeit an Beschichtungen, die Glasfassaden in Abhängigkeit der Sonneneinstrahlung sensorgesteuert abdunkeln – mit positivem Effekt auf die Energiebilanz des Gebäudes.

Fraunhofer-Institute: Bei Gebäuden mit großen Glasfronten ermöglicht die Ausstattung mit elektro- oder thermochromen Fenstern Energieeeinsparungen von bis zu 70 % bei Heizung und Kühlung.

Der Gebäudesektor zählt zu den größten Verursachern von Treibhausgas-Emissionen. Nach Angaben des Umweltbundesamts sind Gebäude in Deutschland für etwa 30 % der gesamten CO2-Emissionen und 35 % des Endenergieverbrauchs verantwortlich. Besonders problematisch sind Gebäude mit großen Glasflächen, die sich im Sommer durch die verstärkte Sonneneinstrahlung besonders aufheizen. Der Einsatz von schützenden Jalousien oder Vorhängen kommt bei Bürohochhäusern aber aus ästethischen Gründen nicht infrage. Die Innenraum-Temperatur muss deshalb durch Klimaanlagen maschinell heruntergekühlt werden. Das benötigt viel Strom und verschlechtert die Klimabilanz des Gebäudes. Im Rahmen des Projekts „Switch2Save“ arbeiten Forschende des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC sowie des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik FEP an einer Lösung des Problems. Ihr Ansatz: eine transparente Beschichtung der Fenster oder Glasfassaden mit elektro- beziehungsweise thermochromen Materialien. Diese sorgen für eine stufenlose transparente Abdunkelung der Fensterfronten und verhindern damit das Aufheizen der Räume. Bei dem EU-geförderten Forschungsvorhaben kooperieren die Fraunhofer-Institute mit Universitäten und Industriepartnern aus sechs EU-Staaten.

Dr. Marco Schott, Gruppenleiter Elektrochrome Systeme am Fraunhofer ISC, erläutert das Funktionsprinzip: „Die elektrochrome Beschichtung wird auf einer transparenten, stromleitfähigen Folie aufgebracht und ist aktiv schaltbar. Wird Spannung beziehungsweise Strom angelegt, findet ein Ladungs- und Ionenaustausch statt, und die Beschichtung dunkelt ein, was zu einer Verschattung im Fenster führt.“ Bei den elektrochromen Elementen können Sensoren Werte wie Helligkeit oder Temperatur messen und an die Steuerelektronik schicken. Diese sendet einen Strom- oder Spannungsimpuls in die leitfähige Folie und löst damit die Verschattung des Fensters aus. Je nach Wärme oder Sonneneinstrahlung verdunkelt sich die Glasfläche stufenlos. „Die Einfärbung vollzieht sich nicht schlagartig, sondern sanft innerhalb einiger Minuten“, so Schott. Der Stromverbrauch sei dabei sehr gering. Zum einen benötige die elektrochrome Folie im Idealfall nur bei Schaltvorgängen Strom, zum anderen genügen wenige Volt, um den Verdunklungsprozess anzustoßen. An einem bewölkten Tag oder am Abend bleiben die Fenster hell. Die wegen der Beschichtung unvermeidliche Resteinfärbung sei für das Auge nicht störend.

Die thermochrome Variante arbeitet hingegen rein passiv und reflektiert ab einer bestimmten Umgebungstemperatur die Wärmestrahlung der Sonne. Sie eigne sich entweder als Ergänzung zu einem aktiv schaltbaren System oder als Alternative in Szenarien, bei denen keine aktive Schaltbarkeit erforderlich ist.

Besonders große Energieeinsparungen durch niedriger gestellte oder gar nicht eingeschaltete Klimaanlagen erhoffen sich die Projektbeteiligten vor allem dort, wo hohe Außentemperaturen herrschen – etwa in südlichen Regionen. Dr. John Fahlteich, „Switch2Save“-Verbundkooordinator und Forschungsgruppenleiter am Fraunhofer FEP: „In warmen Regionen Europas lässt sich so der Kühl- und Heizenergiebedarf von modernen Gebäuden um bis zu 70 % reduzieren.“ In den kälteren Gegenden des Nordens seien die Einsparungen geringer. Doch auch hier könnten die Systeme genutzt werden, um bei direkter Sonneneinstrahlung einen Blendschutz zu gewährleisten. „Wir statten gerade die Kinderklinik des zweitgrößten Krankenhauses Griechenlands in Athen und ein Bürogebäude in Uppsala mit der Technik aus. In beiden Gebäuden wird der Energiebedarf vor und nach der Installation der neuen Fenster ein Jahr lang überwacht und verglichen“, berichtet Fahlteich. Auf diese Weise könne man für unterschiedliche Klimazonen gesicherte Daten gewinnen und die Technologie weiter erproben und verfeinern.

Auch über die Fertigung haben sich die Forschenden Gedanken gemacht: Die elektrochrome Beschichtung wird auf einem Foliensubstrat auf Polymer-Basis aufgebracht. Die thermochrome Version hingegen arbeitet mit einem Dünnglas-Substrat. Es werden nasschemische Beschichtungsverfahren sowie Vakuumbeschichtungsverfahren im kosteneffizienten Rolle-zu-Rolle-Betrieb eingesetzt. Die schaltbaren Bauelemente werden anschließend im Vakuum auf vier Millimeter dickes Fensterglas laminiert. Dieses wird schließlich Teil des Verbundfensters. Das Beschichtungsverfahren ist auch im industriellen Maßstab wirtschaftlich realisierbar. Die elektro- und thermochrom-schaltbaren Elemente sind nur wenige 100 Mikrometer dick und weniger als 500 Gramm pro Quadratmeter leicht. Sie verändern damit das Gewicht der Verbundfenster kaum, sodass diese ohne Nachbesserungen an der Gebäudekonstruktion oder Statik in Bestandsgebäuden nachgerüstet werden können.

Derzeit arbeitet das Projektkonsortium daran, die Technologie weiterzuentwickeln. So erforscht das Expertenteam, wie sich die elektro- und die thermochromen Elemente in einem Verbundfenster miteinander kombinieren lassen, um das Potenzial der Technologie noch besser auszuschöpfen. Außerdem wird nach Möglichkeiten gesucht, die Beschichtung auf geschwungenen Glasformen aufzubringen und die bestehenden Farbtöne Blau und Grau um weitere Farben zu ergänzen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Photovoltaikanlagen immer häufiger in Ost-West-Ausrichtung

Fassadenbegrünung zur Gebäudeklimatisierung

Indoor-Air: Präsenzmesse rund um das Lebensmittel Luft

Schulen und Kitas: Jetzt auch Fördergelder für Zu- und Abluftventilatoren

Fraunhofer prüft den Einsatz von Heizsystemen zur Raumkühlung

Universität Birmingham startet „Living Lab“

TA-Modulator: Druckunabhängiges Regel- und Regulierventil für große Durchflussmengen

TA-Smart: Neues Regelventil mit einzigartiger Funktionsvielfalt

Technische Fachkraft im Hochbau (w/m/d), Schwerpunkt technische Gebäudeausrüstung

Ausschreibungsspezialist (m/w/d) Heizung/Sanitär

Kein Öl und Erdgas für Neubauten schon ab 2024?

Wärmepumpen: Was ist bei der Hauseinführung zu beachten?

Trennung zwischen Primär- und Sekundärheizkreis

Bestimmung des sommerlichen Außenluft-Auslegungszustands für Komfortklimatechnik

Anforderungen und Bemessungen nach DIN 18232 Teil 5

Lüftungssysteme mit Wärmerückgewinnung versus Wärmepumpe

Auch auf dieser Seite werden Cookies verwendet. Wir können damit die Seitennutzung auswerten, um nutzungsbasiert redaktionelle Inhalte und Werbung anzuzeigen. Das ist für uns wichtig, denn unser Angebot finanziert sich über Werbung. Die Nutzung der Seite gilt als Zustimmung zur Cookie-Nutzung. Weitere Infos

/button>