Explosion in Leverkusen: neuer Zwischenbericht erhärtet mögliche Ursache

2022-09-03 07:15:16 By : Ms. Echo Wong

Eine chemische Reaktion hat vermutlich zur Explosion im Tanklager der Sonderabfall-Verbrennungsanlage am 27. Juli 2021 im Chempark Leverkusen geführt. Ein zweiter Zwischenbericht erhärtet die vermutete Ursache für die Explosion.

Die Explosion in der Sonderabfall-Verbrennungsanlage in Leverkusen-Bürrig wurde vermutlich durch Reaktion und Selbsterwärmung von flüssigen Abfällen in Lagertank 3 verursacht. (Bild: Currenta)

Update vom 24.9.: Der mit der Untersuchung des Explosionsereignisses am 27.07.2021 im Entsorgungszentrum Bürrig der Firma Currenta beauftragte Sachverständige hat den zweiten Zwischenbericht vorgelegt, der sich hauptsächlich mit experimentellen Untersuchungen des Abfalls, der im explodierten Tank gelagert wurde, befasst. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen wird die im ersten Zwischenbericht vermutete Ursache für die Explosion weiter erhärtet. Danach soll eine chemische Reaktion des Abfalls mit zunehmender Temperatur zu einem rapide ansteigenden Überdruck im Lagertank geführt haben, der trotz der vorhandenen Sicherheitssysteme des Tanks nicht mehr abgebaut werden konnte. Durch experimentelle Untersuchungen, die vom Gutachter in Auftrag gegeben wurden, wäre hiermit die Selbsterwärmung des Abfalls verbunden mit einem Druckanstieg bestätigt, heißt es in einer Pressemeldung der Bezirksregierung Köln. Ebenso wie eine sich selbst beschleunigende Reaktion.

Danach fände der größte Temperatur- und Druckanstieg innerhalb der letzten Viertelsekunde statt und führte zu einem explosionsartigen Zerplatzen der Messzelle. Damit wäre bestätigt, dass der Abfall in Bürrig oberhalb der Selbsterwärmungstemperatur gelagert und so die Reaktion in Gang gesetzt wurde. Bereits in der Vergangenheit wurde dieser Abfall der Firma Agricultural Solutions A/S aus Dänemark in anderen europäischen Anlagen verbrannt und hat nach Erkenntnissen der Bezirksregierung Köln dort keine Unfälle verursacht. Bevor endgültige Schlussfolgerungen aus dem Ereignis und den daraus folgenden Konsequenzen gezogen werden können, müssen weitere Untersuchungen des Sachverständigen abgewartet werden, heißt es bei der Bezirksregierung Köln.

Die Autoren des Sachverständigengutachtens halten es für wahrscheinlich, dass eine Lagerung der Abfallflüssigkeit über der sogenannten „Selbstexplosionstemperatur“ des gelagerten Stoffes zu Selbsterwärmungseffekten geführt hat. Dies geht aus dem ersten Zwischenbericht zur Brandursachenermittlung hervor, teilte die Bezirksregierung Köln am 30.08.2021 in der Sitzung des Stadrates von Leverkusen mit.

Als Folge der Selbsterwärmung sei es zu einem exponentiellen Temperatur- und Druckanstieg in Tank 3 des Entsorgungszentrums in Bürrig gekommen. Chempark-Betreiber Currenta zitiert in seiner Mitteilung den Bericht unter „Brand- und Explosionsursache“: „Der ganze Vorgang ging so schnell, dass die Sicherungseinrichtungen den Druck nicht mehr abführen konnten. Als der Druck dann über dem Auslegungsdruck des Behälters lag, explodierte dieser.“ Am 27. Juli 2021 um 9.37 Uhr habe der Druck die Belastbarkeitsgrenze des Tanks überschritten. Durch die Explosion haben sich nach Einschätzung der Gutachter die Abfallflüssigkeit und das zuvor zur Kühlung in den Tank gepumpte Heizöl mit der Umgebungsluft vermischt und sofort durchgezündet. Im Anschluss an diese beiden Explosionsvorgänge sei es dann zum Brand im Tanklager gekommen.

Vor 100 Jahren, am 21. September 1921, ereignete sich auf dem BASF-Werksgelände Oppau bei Ludwigshafen das schwerste Explosionsunglück der chemischen Industrie in Deutschland, mit über 500 Toten, fast 2.000 Verletzten und einer nahezu zerstörten Ortschaft. Ein Rückblick. Hier weiterlesen...

„Die Ergebnisse dieses Zwischenberichts passen zu unseren bisherigen Erkenntnissen“, erklärt Currenta-Geschäftsführer Hans Gennen. Bereits veröffentlichte Analyse-Ergebnisse hatten unter anderem ergeben, dass anders als zunächst befürchtet keine  erhöhten Werte für Gefahrstoffe wie Dioxin in der Umgebung nachweisbar seien. Der aktuelle Zwischenbericht sei "ein wichtiger Teil der Aufklärung durch die Ermittlungs- und Aufsichtsbehörden, die wir vollumfänglich unterstützen werden,“ so Gennen weiter. Bei der Explosion am Vormittag des 27. Juli 2021 kamen sechs Menschen ums Leben, 31 wurden verletzt. Detaillierte Informationen sowie eine schematische Darstellung zum Ablauf der Explosion hat Currenta in einem eigens eingerichteten Blog zusammengestellt.

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1921: Explosion des Stickstoffwerkes Oppau: Am noch jungen BASF-Standort Oppau explodieren mehr als 450 t des Düngemittels Ammonsulfatsalpeter, die Explosion tötet 559 Menschen und verwüstet die nahegelegene Ortschaft. Ursache ist eine Verfahrensänderung, die unbemerkt zu einer deutlich höheren Zündfähigkeit des Düngers führt. Es ist bis heute der schwerste Unfall der Firmengeschichte und das größte Chemieunglück in Deutschland. (Bild: gemeinfrei. Mehr lesen.)

1948: Kesselwagenexplosion in Ludwigshafen: Bei der Explosion eines Kesselwagens mit rund 30 t Dimethylether auf dem BASF-Gelände Ludwigshafen sterben mehr als 200 Menschen, mindestens 3.800 werden verletzt. Ursache war vermutlich die Kombination aus einer falsch berechneten Volumenreserve und einer fehlerhaften Schweißnaht des Tanks, sodass dieser dem wachsenden Druck bei Außentemperaturen über 30 °C nicht mehr standhielt. (Bild: DEHJ AdobeStock)

1968: Chemieunfall in Bitterfeld: Beim Abdichten von Lecks in der PVC-Produktion im Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld explodiert das aus dem Reaktionsbehälter abgelassene Vinylchlorid. Die Explosion tötet 42 Menschen und zerstört das Werk. In der zuvor fast ausschließlich auf Planerfüllung ausgerichteten Chemieproduktion der DDR spielen Arbeits- und Umweltschutz nach dem Unfall eine größere Rolle. Seit 2019 erinnert ein Denkmal im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen an die Katastrophe. (Bild: CPG)

1974: Flixborough-Unglück: Ein undichter Reaktor im Chemiewerk Flixborough, England, wird provisorisch mit Rohrleitungen überbrückt, um den Betrieb bis zur nächsten Wartung aufrechtzuerhalten. Beim Wiederanfahren nach der Wartung zwei Monate später tritt Cyclohexan aus und entzündet sich, durch die folgende Explosion sterben 28 Menschen. Die britischen Behörden verschärfen die Auflagen für Engineering, Design und geschultes Personal in Chemieanlagen. (Bild: thaloengsak AdobeStock)

1976: Seveso-Unglück: Die Synthese von Trichlorphenol im Icmesa-Werk in Meda, Italien, gerät außer Kontrolle, das hochgiftige Nebenprodukt Tetrachlor-Dibenzodioxin (TCDD) tritt aus. Die Dioxinwolke lässt in den umliegenden Gemeinden Seveso, Meda, Desio und Cesano Maderno viele Pflanzen und über 3.000 Nutztiere verenden. Eine Folge dieser Katastrophe und des Flixborough-Unglücks zwei Jahre zuvor ist die Seveso-Richtlinie. TCDD ist bis heute als „Seveso-Gift“ bekannt. (Bild: Goodpics AdobeStock)

1984: Chemie-Katastrophe von Bhopal: In Bhopal, Indien, gelangt im Werk des Chemiekonzerns Union Carbide durch Betriebsfehler und mangelnde Sicherheitsvorkehrungen Wasser in einen Tank mit Methylisocyanat. Die auftretende Reaktion bringt den Tank zum Explodieren, und bis zu 40 t Methylisocyanat sowie Reaktionsprodukte wie Methylamin verbreiten sich als giftige Wolke in der Umgebung. Die Zahl der Todesopfer ist bis heute ungewiss, sie reicht je nach Quelle von 3.800 bis 25.000. (Bild: molekuul.be/klyaksun/pedrosala – stock.adobe.com)

1986: Großbrand von Schweizerhalle: Im Industriegebiet Schweizerhalle bricht beim Chemiekonzern Sandoz ein Großbrand aus, vermutlich beim Erhitzen von Plastikfolie zum Verpacken des Farbpigments Berliner Blau. Die Löscharbeiten spülen mit Pflanzenschutzmitteln belastetes Wasser in den Rhein, was ein weitreichendes Fischsterben auslöst. Als Folge des Unfalls richteten die Anliegerstaaten den Rheinalarm ein, um bei Störfällen entlang des Flusses besser kooperieren zu können. (Bild: Getec)

2001: Düngerexplosion von Toulouse: In einer Lagerhalle des Düngemittelherstellers AZF in der französischen Stadt Toulouse explodieren rund 300 t Ammoniumnitrat, die Explosion tötet 31 Menschen. Der genaue Auslöser ist nicht abschließend geklärt. Der Unfall erinnert nicht nur in Ausmaß und Ursache an die Katastrophe in Oppau achtzig Jahre zuvor: Das Werk in Toulouse entstand Mitte der 20er Jahre als Kopie des Oppauer Stickstoffwerks. (Bild: Ihor95 AdobeStock)

2015: Katastrophe von Tianjin: Im Hafen der chinesischen Stadt Tianjin bringt die Selbstentzündung von Nitrocellulose in einem Gefahrstofflager 800 t Ammoniumnitrat zur Explosion. Nach offiziellen Angaben kommen 173 Menschen ums Leben. Die anschließende Untersuchung ergibt, dass die Gefahrgüter vor Ort illegal gelagert und Genehmigungen durch Bestechung erteilt worden waren. (Bild: Voice of America / gemeinfrei. Mehr lesen.)

2016: Unfall in Ludwigshafen: Bei Schweißarbeiten am Landeshafen Nord am BASF-Standort Ludwigshafen schneidet ein Arbeiter eines Subunternehmens eine falsche Rohrleitung an. Austretendes Buten entzündet sich und bringt eine benachbarte Ethylenleitung zur Explosion. Durch das Unglück sterben vier Feuerwehrleute und ein Arbeiter auf einem der Schiffe im Hafen. Der Verursacher wird zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Kritik trifft auch die BASF wegen verbesserungswürdiger Sicherheitsvorkehrungen. (Bild: BASF. Mehr lesen.)

2020: Explosion in Beirut: Im Hafen von Beirut, Libanon, geraten bei Schweißarbeiten in der Nähe gelagerte Feuerwerkskörper in Brand. Das Feuer bringt rund 2.750 t Ammoniumnitrat in einem Lagerhaus zur Explosion, mindestens 190 Menschen sterben. Die explosive Chemikalie stammte aus einem beschlagnahmten Schiff und lagerte dort schon seit Jahren, auf wiederholte Warnungen der Zollbehörden geschah jedoch nichts. Sechs Tage nach der Explosion tritt die Regierung zurück. (Bild: Ali – stock.adobe.com. Mehr lesen.)

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