Pistenpräparierung: Wie der Schnee aus der Kanone funktioniert - WELT

2022-09-03 07:20:30 By : Ms. Daisy Dai

M eteorologen haben es zwar nicht dokumentiert, aber schon vor drei Wochen fiel in Schleswig-Holstein Schnee. Zumindest im Garten eines Einfamilienhauses nahe Kiel. Der Besitzer hatte einen Schlauch fein durchlöchert, und als das Thermometer morgens um halb neun minus drei Grad Celsius anzeigte, drehte er den Wasserhahn auf. Aus dem Tropfenspiel entstand zwar keine verschneite Rodelpiste, für einige kleine Schnellbällchen aber konnte der durchlöcherte Gartenschlauch schon sorgen.

„Grundsätzlich kann man tatsächlich mit dem Gartenschlauch Schnee produzieren, sofern die Düsen nicht zu groß und die Außentemperaturen niedrig sind“, erklärt Hansueli Rhyner vom Institut für Schnee- und Lawinenforschung der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Davos.

Ähnlich wie im Gartenschlauch-Experiment arbeiten auch die in manchen Skigebieten schon seit einigen Wochen röhrenden Schneekanonen. Es gibt aber auch Verfahren, die nicht auf kalte Temperaturen angewiesen sind: Einige erzeugen Schnee sogar im Sommer, fast aus dem Nichts und auf einfache Weise.

Zu den eher exotischen Methoden gehört der Einsatz des Proteins Snowmax. Es wird von Bakterien erzeugt, die Forscher als Pseudomonas syringae kennen. Ihr Eiweiß lässt Wasser auch bei plus fünf Grad Celsius zu schneeähnlichem Pulver werden. In den USA werden bereits Pisten mithilfe der Snowmax-Technik beschneit. Allerdings bleiben die Bakterienreste nach der Schneeschmelze im Boden, und noch ist nicht ganz geklärt, welche Folgen das für die Umwelt haben könnte.

Ebenfalls selten eingesetzt werden Schneefabriken. Hier wird Schnee in einer Vakuum-Kammer hergestellt. Wasser wird dazu eingefüllt, ein Teil davon verdampft. Der Rest zerfällt unter den niedrigen Temperaturen in der Kammer in kleine Eiskörner, die sich auf die Piste bringen lassen. Wuchtige Vakuum-Maschinen sind bereits in Skiorten wie Zermatt und im Pitztal im Einsatz. Die Produktionsmethode ist zwar temperaturunabhängig, verbraucht aber etwa sechs mal mehr Energie als herkömmliche Schneekanonen.

Auch die Kältetechnik hat sich bisher aus Kostengründen noch nicht durchsetzen können. „Bei dieser Technik wird mithilfe einer Eismaschine ein Eisgranulat produziert, und das lässt sich dann auf die Piste blasen“, sagt Rhyner.

Künstlicher Schnee ist eine aufwendige, teure Angelegenheit. Das zeigt auch das etablierte Verfahren, mit dem es Veranstalter im Sommer schneien lassen: das Kryo-Verfahren. „Dabei wird mithilfe eines kryogenen Mittels, meistens Flüssigstickstoff, ein Raum – zum Beispiel ein Zelt – unterkühlt. Dort kann man es wiederum mithilfe der Düsentechnik schneien lassen.

Das ist dann auch bei Umgebungstemperaturen von über null Grad möglich. Daher kommt die Technik zum Beispiel bei Sommer-Events zum Einsatz. Durch die Verwendung von kryogenen Mitteln ist sie natürlich teurer als die normale Düsentechnik“, sagt Rhyner.

Diese „normale Düsentechnik“, also eine herkömmliche Schneekanone, ist praktisch der professionalisierte Gartenschlauch: Bei diesen Maschinen wird Wasser durch feine Düsen ins Freie gedrückt. Die austretenden Tropfen gefrieren, bevor sie auf dem Boden landen. Durch weitere, besonders kleine Düsen lässt sich auch Pressluft beimischen.

Kommen diese winzigen Blasen an die frische Luft, dehnen sie sich aus, erzeugen dadurch Kälte und übertragen sie auf die feinen Wassertropfen – die dann noch schneller gefrieren. Herausgeschleudert werden die gefrierenden Teilchen entweder über einen Propeller oder über Lanzen.

Die etwa zehn Meter langen Stäbe stecken im Schnee, an ihren perforierten Enden entweicht die komprimierte Luft, die nach Austritt und Abkühlung als Schnee zu Boden fällt. Solche Lanzen sind deutlich leiser als Propellermaschinen, aber auch weniger leistungsfähig.

Das gilt auch für Maschinen, die Unternehmen wie Snow at home anbieten. Liegt die Temperatur bei um die null Grad Celsius, können es Eigenheimbesitzer damit auf Knopfdruck im Garten schneien lassen.

Äußerlich ist kaum ein Unterschied zwischen technischem und natürlichem Schnee zu erkennen: Beide schimmern in schönem, winterlichem Weiß, obwohl sie eigentlich aus Wasser bestehen und somit durchsichtig sein müssten. Weil die Eiskristalle das einfallende Licht aber reflektieren, erscheint Schnee weiß. Je nach Form und Größe des Eiskorns kann der Schnee mal ein wenig bläulich, mal eher grau erscheinen.

Bei genauerem Hinsehen lässt sich das künstlich produzierte von dem mit etwa vier Kilometern pro Stunde vom Himmel gefallenen Pulver gut unterscheiden: an der Form. „Technischer Schnee bildet keine Flocken.

Er ist aus Wassertropfen entstanden und besteht aus runden Körnern“, sagt Schnee-Experte Rhyner. „Eine Schneeflocke hingegen gefriert in einem Punkt und wächst allmählich zu ihrer sechseckigen Form heran. Wenn Naturschnee allerdings auf der Piste liegt und bearbeitet worden ist, bekommt er eine ähnliche Struktur wie technischer Schnee: rund und sehr klein“, sagt Rhyner.

Naturschnee kommt auf eine Dichte zwischen 50 und 250 Kilogramm pro Kubikmeter, bei künstlich produziertem Schnee liegt der Wert zwischen 300 und 500. „Dadurch sintert er besser als Naturschnee und erreicht schneller eine hohe Festigkeit. Somit ist er eigentlich besser für den Pistenbau geeignet, er muss weniger durch die Pistenmaschinen verdichtet werden als Naturschnee“, sagt der Schneeexperte.

Ist der Schnee besonders dicht und hart, wirken aber auch größere Kräfte auf Gelenke, Sehnen und Muskeln von Skifahrern oder Snowboardern. Ärzte beklagen, dass es durch den technischen Schnee auf den Pisten häufiger als in der Zeit vor dem Kunstschnee zu Schäden im Knie kommt. Unter anderem würden die Schienbeinköpfe leichter brechen.

Problematisch ist es, wenn der Schnee zu früh bearbeitet wird. Dann bildet sich Wasser auf der Oberfläche, das vereist und das Skifahren erschwert.

Umstritten ist der Einsatz technisch hergestellten Schnees auch aus anderen Gründen. Denn die künstliche Beschneiung ist teuer, pro Kubikmeter Schnee ist mit drei bis fünf Euro zu rechnen. 60 bis 150 Kubikmeter pro Stunde schafft eine Düsenanlage.

Die Menge würde in ein Einfamilienhaus passen. Die mit technischem Schnee bedeckte Fläche wird immer größer, in den Alpen wird schon mehr als die Hälfte aller Pisten künstlich beschneit. Das gilt sogar für einige Gletscher, teilweise auch, damit die Lift-Stützen dort nicht wegbrechen, wenn sich das Gletschereis aufgrund der Klimaerwärmung zurückbildet.

Auch beginnt das Beschneien mittlerweile schon verstärkt in der Vorsaison. Dabei hilft das Snowfarming, das Anlegen großflächiger Schnee-Reservoirs. An möglichst kalten Tagen erzeugen Produktionsmaschinen viel Schnee, der dann auf der Schattenseite eines Berges aufgeschichtet wird.

Eine etwa ein Meter dicke Schicht aus Hackschnitzeln, einem Vlies und letztlich einer Folie bedecken den Schnee. Etwa drei Viertel dieser Schneemenge überstehen tatsächlich den Sommer und lassen sich schon im November auf die Piste bringen.

Für die Berglandschaft ist das ein Problem, sie hat kaum noch Zeit zu regenerieren. Manche Pflanzen drohen unter der mindestens 20 Zentimeter hohen Schneedecke zu ersticken. Aufgrund seiner hohen Dichte lässt technischer Schnee kaum Platz für Luftporen. Die Fauna darunter ist zwar vor Kälte geschützt, geht aber trotzdem ein.

Schneekanonen brauchen zudem reichlich Energie, allein in Bayern sind für die Beschneiung fast 30 Millionen Kilowattstunden pro Jahr nötig. So viel verbrauchen etwa 8000 Privathaushalte. Energiesparpotenzial bietet eine neue Lanze, die 90 Prozent weniger Strom verbraucht als herkömmliche Lanzen – so viel wie eine Geschirrspülmaschine.

Der Grund: Die Nivis-Schneilanze Ecostick braucht weder einen Luftkompressor noch eine zentrale Druckluftversorgung. Stattdessen saugen Injektordüsen über den Wasserdruck Luft von außen an. Dadurch entsteht in der Kammer der Lanze ein Wasser-Luft-Gemisch, das über kleine Düsen nach außen gedrückt und zu Schnee wird.

Ein Problem aber ist auf lange Sicht nicht zu lösen: Künstliche Beschneiung erfordert Unmengen an Wasser. Pro Hektar beschneite Piste sind drei bis vier Millionen Liter nötig. Allein für die Skistrecken in den Alpen versprühen die Schneeproduzenten 100 Millionen Liter – das entspricht dem Wasserverbrauch einer Großstadt wie Hamburg.

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