Corona Deutschland: Virologe kritisiert Politik - „Mehr Infektionen wegen FFP2-Masken“?

2022-08-27 03:29:57 By : Mr. Jimmy Zhang

Der Virologe Klaus Stöhr spricht über falschen Aktionismus, Impfpflicht und einen erneuten Lockdown. Dass Kinder in der Schule eine Maske tragen müssen, sei ein Skandal.

München - Professor Klaus Stöhr arbeitete für die Weltgesundheitsorganisation und den Pharmahersteller Novartis. Heute ist der 62-Jährige freier Berater und einer der renommiertesten Virologen und Impfstoffexperten. Im Interview mit unserer Zeitung analysiert Stöhr die eskalierende Corona-Lage und spart dabei nicht mit Kritik an der Politik.

Herr Stöhr: Die Corona-Krise trifft uns härter denn je. Überrascht Sie das?

Prof. Klaus Stöhr: Nein. Mit der großen Wucht der vierten Welle war zu rechnen. Wir haben schon im Sommer eindringlich davor gewarnt, dass ein schlimmer Winter auf uns zukommt. Es bleibt unverständlich, warum die Politik das Land nicht gut darauf vorbereitet hat.

Was hätte die Politik tun können oder müssen?

Prof. Stöhr: Thema eins und zwei: Boostern der Älteren und Vulnerablen sowie bessere Impfraten beim Pflegepersonal! Es war schon im Sommer bekannt, dass der Impfschutz vor allem bei den über 60-Jährigen im Herbst nachlassen würde. Ältere, die im Frühjahr mit einem mRNA-Impfstoff geimpft worden sind, sind jetzt im Mittel noch zu etwa 60 Prozent vor einem schweren Verlauf geschützt. Bei Jüngeren dagegen flacht die Schutzkurve nicht so schnell ab. Insofern geht Herrn Söders Absichtserklärung, dass sich jetzt jeder dringend boostern lassen soll, an den Prioritäten vorbei.

Trägt nicht jeder noch besser Geimpfte zur Eindämmung von Corona bei?

Prof. Stöhr: Doch. Aber die Zeit drängt nach dem verschlafenen Sommer zu sehr, als dass man sich bei Ressourcen, Kommunikation und Logistik verzetteln könnte. Erst zehn Prozent der Vulnerablen sind geboostert. Lassen Sie es mich mit einem Bild erklären: Sie haben fünf Kinder, drei gesund sind, eins hat Schnupfen, eins ist sterbenskrank – um welches würden Sie sich zuerst kümmern? Um alle auf einmal oder erst um das besonders gefährdete Kind?

Die Politiker beteuern, Alte und Kranke vor allem in den Pflegeheimen würden jetzt besser geschützt.

Prof. Stöhr: Das wäre absolut wichtig: Im letzten Winter kamen mehr als 40 Prozent der Todesfälle aus dem kleinen Kreis der 950.000 Bewohner der Alten- und Pflegeheime. Das darf sich nicht wiederholen. Neben dem aktuellen Impfschutz für Bewohner und Pflegepersonal sind überwachte Hygienekonzepte einschließlich professioneller Schnelltests für alle Besucher, auch die Geimpften, notwendig. Weil es für die Politik beim Schutz der Vulnerablen noch so viel zu tun gibt, sollte sie sich fokussieren – auch mit Blick auf die vielen ungeimpften Pflegekräfte.

Prof. Stöhr: Jedenfalls muss die Politik diese heiße Kartoffel für die Pflegeberufe endlich anfassen und genauer betrachten. Einerseits bin ich grundsätzlich eher für Informations- und Überzeugungsarbeit als für Druck und Zwang. Andererseits haben wir jetzt nicht mehr viel Zeit für große Diskussionen. Jetzt brauchen wir schnelle Lösungen.

Prof. Stöhr: Das sollte die Politik ja nicht im Vakuum treffen. Ich persönlich hätte bereits im Sommer einen Expertenkreis zu Rate gezogen – aus Heimbetreibern, Soziologen, Psychologen, Epidemiologen und Vertretern der Gesundheitsämter. Sie sollten gemeinsam schnell einen Plan entwickeln, wie man die Impfquote unter den Pflegekräften steigern kann. Eine Möglichkeit wäre auch eine temporäre Impfpflicht nur für die Hochphase der Pandemie. Fest steht: So wie bisher kann es nicht weitergehen.

Bei der Boosterimpfung sind viele Menschen verunsichert. Es kursiert die Angst einer gesundheitsschädlichen Überimpfung.

Prof. Stöhr: Die dritte Impfung ist so sicher wie die ersten beiden. Es gibt bislang nur eine einzige Hypothese, dass eine zu hohe Menge an Antikörpern problematisch sein könnte – und zwar für junge Männer unter 30. In dieser Gruppe steht der Verdacht eines erhöhten Risikos für eine Herzmuskelentzündung im Raum. Gerade für Ältere gilt hingegen: Die Boosterimpfung kann die Schutzwirkung wieder deutlich steigern, sogar über das Niveau direkt nach der zweiten Impfung hinaus.

Dennoch sind viele Geimpfte wegen der gefühlt sehr vielen Impfdurchbrüche verunsichert.

Prof. Stöhr: Gefühlt ist das richtige Wort. Entsprechend der Fakten ist eine Impfung sehr effektiv beim Schutz gegen schwere Verläufe. Alle Infektionen kann sie jedoch nicht verhindern. Man kann sie sich vorstellen wie einen Sicherheitsgurt im Auto. Der bietet zwar keinen hundertprozentigen Schutz, aber er mildert in den meisten Fällen die Unfallfolgen. So ähnlich ist es auch bei der Impfung: Wenn man ohne Impfung an Corona gestorben wäre, kommt man mit einem Klinikaufenthalt davon. Hätte man ohne Impfung in die Klinik gemusst, reicht dank des Vakzins vielleicht Bettruhe aus. Dazu kommt: Geimpfte schützen ihre Mitmenschen besser – selbst im Falle eines Impfdurchbruchs. Denn falls sie ansteckend sind, verbreiten sie die Viren viel seltener, kürzer und in geringerer Menge als Ungeimpfte.

Kann es sein, dass die Impfstoffe gegen die Delta-Variante nicht so gut wirken?

Prof. Stöhr: Delta ist mit einer stärkeren und längeren Virusausscheidung verbunden. Das hat einen gewissen Einfluss auf die Virusausbreitung, aber bis dato nicht wesentlich auf die Wirksamkeit der Impfstoffe. Eine Impfstoffanpassung wird es sicherlich in der Zukunft geben müssen. Gegenwärtig gibt es aber keine neuen Varianten, die das Potenzial hätten, regional oder global dominant zu werden und eine baldige Impfstoffanpassung erfordern würden.

Ist ein neuer Lockdown nötig – und macht er Sinn?

Prof. Stöhr: Die AHA-Regeln bleiben uns sicherlich für den Winter erhalten. Verschärft sich die Lage weiter regional dramatisch, kann es aber durchaus sein, dass lokal wieder Kontaktbeschränkungen erforderlich werden. Da sind wir wieder bei der mangelhaften Vorbereitung. Die Politik hätte schon im Sommer einen zwischen den Bundesländern abgestimmten Stufenplan für eine solche Situation erarbeiten können, mit präzisen Grenzwerten für Notlagen auf den Intensivstationen und stufenweisen Maßnahmen bis hin zu 1G – also einer Impfung als Voraussetzung für die Teilnahme am alltäglichen Leben.

Müssen die Schutzmaßnahmen auch in Schulen und Kindergärten wieder verschärft werden?

Prof. Stöhr: Nein. Wir müssen uns der Realität stellen: Kindergarten- und Grundschulkinder infizieren sich wohl häufiger bei den Eltern und anderen Erwachsenen als umgekehrt. Außerdem wird es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit leider keine Impfempfehlung für Kinder unter zwölf Jahren geben. Nach der Datenlage ist das Risiko der Impfung höher als das der Infektion. Die Ständige Impfkommission wird das final einschätzen, wenn ein Kinderimpfstoff gegen Anfang 2022 auch in Europa zugelassen sein wird. Mehr Masken und Abstandsregeln in Schulen und Kindergärten helfen nicht, den Schutz und die Impfrate bei den Pflegekräften und über 60-Jährigen zu erhöhen. Genau das ist aber der Schlüssel. Außerdem: bezüglich des Risikopotenzials sind Oberstufen der Schulen und viele Arbeitsbereiche vergleichbar, werden aber unterschiedlich bei den Testungen behandelt. Insgesamt erschließt es sich mir nicht, warum man, nicht nur in Bayern, immer zuerst auf die Kinder schielt, wenn die Intensivstationen volllaufen. Das wirkt auf mich so effektiv, als würde man bei einem Platten vorne am Fahrrad den Hinterreifen aufpumpen.

Stichwort neue FFP2-Maskenpflicht: Ist FFP2 wirklich so wichtig?

Prof. Stöhr: Medizinische Masken sind wichtig. Beim Thema FFP2-Masken werden das Wissen und die Erfahrung der besten medizinischen Fachgesellschaften konsequent ignoriert, das scheint während der Pandemie bei der bayerischen Staatsregierung Tradition zu haben. FFP2-Masken sind für die allgemeine Bevölkerung kontraproduktiv.

Das sehen andere Experten aber ganz anders.

Prof. Stöhr: Möglich. Aber die Fachleute der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sind hier ganz klar in ihren Stellungnahmen: FFP2-Masken sind keine Option für die allgemeine Bevölkerung. Sie produzieren mehr Infektionen, generieren mehr Übertragungen als die normale medizinische Maske. Unter anderem, weil sie selten wirklich dicht sitzen. Läuft man durch München, sieht man, dass nicht viele wissen, dass FFP2-Masken in vier verschiedenen Größen kommen und jeweils an das Gesicht angepasst werden müssen. Dicht sitzende FFP2-Masken erfordern zudem eine erhöhte Atemarbeit, die von Älteren oder Menschen mit Atemwegserkrankungen nicht geleistet werden kann. In den meisten Fällen bieten sie daher keinen besseren Schutz als medizinische Masken.