Der Weg zu Netto-Null: CO2 aus der Atmosphäre fangen – EURACTIV.de

2022-08-27 03:30:50 By : Ms. Linda Ruan

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Von: Kira Taylor | EURACTIV.com | übersetzt von Martin Herrera Witzel

23-02-2022 (aktualisiert: 24-02-2022 )

Timmermans [Jennifer Jacquemart / EC Audiovisual]

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Europa muss seine Emissionen drastisch senken, um bis Mitte des Jahrhunderts Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Es gibt jedoch ein weiteres Instrument im Kampf gegen die Erderwärmung, das dabei helfen könnte: die Kohlenstoffbindung.

Die Idee dahinter ist es, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren und jeglichen Emissionen, die nach 2050 noch verbleiben sollten, entgegenzuwirken. Hierzu soll Kohlenstoff aus der Luft entnommen und in der Natur oder mit Hilfe moderner Speichertechnologie gelagert werden.

„Kohlenstoffbindung ist ein wichtiges Instrument in unserem Werkzeugkasten“, sagte der Leiter des EU Green Deals, Frans Timmermans, auf einer von der Europäischen Kommission organisierten Konferenz über die CO2-Bindung im vergangenen Monat.

Es gibt drei Möglichkeiten, um dies zu erreichen: CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen und dauerhaft unterirdisch zu lagern, es in der Natur zu speichern – etwa in Bäumen und im Boden, und den ausgestoßenen Kohlenstoff wieder in der Produktion von Produkten, zum Beispiel in der Chemie, zu verwenden.

In den Augen der Europäischen Kommission sind all diese Möglichkeiten geeignet, um den Kohlenstoffgehalt in der Atmosphäre bis 2050 zu reduzieren und die verbleibenden Emissionen nach 2050 auszugleichen.

„Wir müssen alle Hebel in Bewegung setzen, wenn wir Erfolg haben wollen“, sagte Timmermans. „Wir haben nicht den Luxus, jede Lösung, die wir finden können, beiseite zu schieben. Wir müssen also jede Gelegenheit nutzen, um Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entfernen.“

The European Commission is looking at ways of building up infrastructure for transporting and permanently storing CO2 underground as well as recycling carbon into new products.

Um bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssten nach Schätzungen der Europäischen Kommission die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 85-95 Prozent sinken. Kohlenstoffbindung aus der Atmosphäre kann seiner Meinung nach diese Kluft schließen und auf 100 Prozent zu kommen.

Diese Mengen sind keineswegs unerheblich. Nach einem im letzten Jahr veröffentlichten Kommissionspapier über nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe müssen diese jedes Jahr mehrere hundert Millionen Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernen.

Mittelfristig würde dieser Abbau durch „die Verbesserung der natürlichen Senke“n erreicht werden. Die natürliche Absorption von CO2 umfasst Aufforstung und Wiederaufforstung, Carbon Farming, Wiederherstellung von Torfgebieten und langlebige biobasierte Produkte.

Langfristig wird der natürliche Abbau durch den Einsatz industrieller Lösungen unterstützt, die in der Lage sind, CO2 dauerhaft abzuscheiden und zu speichern“.

Zu den technologiebasierten Lösungen – die die EU-Kommission als ‚industrielle Lösungen‘ bezeichnet – gehören die direkte Kohlenstoffabscheidung aus der Luft (direkte Luftabscheidung) und die Kohlenstoffabscheidung aus Abgasen von Emissionsquellen. Bei beiden Methoden wird das abgeschiedene CO2 anschließend dauerhaft unterirdisch gespeichert.

Andere Optionen könnten sogar zu Netto-Negativemissionen führen, wie Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS), bei der Biomasse zur Energieerzeugung verbrannt wird und die dabei anfallenden Emissionen dauerhaft gespeichert werden.

Die Europäische Kommission geht den CO2-Abbau in zwei Stufen an. In den 2020er Jahren konzentriert sie sich darauf, einen Rahmen für die Zertifizierung von Technologien zur Kohlenstoffentfernung einzurichten und Daten über diese zu sammeln.

Bis 2030 möchte die Europäische Kommission die Co2-Entfernung durch natürliche Methoden vorantreiben. In ihren im letzten Jahr vorgelegten Vorschlägen strebt die EU-Exekutive an, dass im Jahr 2030 310 Millionen Tonnen CO2 von natürlichen Methoden in der Natur binden und speichern.

Dies entspricht einer Steigerung gegenüber den 225 Millionen Tonnen, die für ein Business-as-usual-Szenario prognostiziert werden. 5 Millionen Tonnen sollen hingegen durch technische Lösungen von der Atmosphäre entfernt werden.

Über 2030 hinaus ist noch viel zu entscheiden. Bis 2050 rechnet die Europäische Kommission mit der Notwendigkeit, mehrere hundert Millionen Tonnen Kohlenstoff zu binden, sowohl durch natürliche als auch durch technische Lösungen zu senken.

Dazu gehört auch der Abbau von mindestens 300 oder 500 Millionen Tonnen CO2 durch technische Lösungen, so die Szenarioplanung der EU.

Es ist jedoch noch unklar, welches Verhältnis zwischen technischen und naturbasierten Lösungen erreicht werden soll.

„Wir müssen alle Lösungen, die es gibt, noch viel besser verstehen, deren Robustheit sowie deren Glaubwürdigkeit“, sagte ein Kommissionsbeamter gegenüber EURACTIV.

„Heute ist das fast unmöglich. Niemand kann ein genaues Verhältnis zwischen dem Nettoabbau durch naturbasierte Lösungen und durch technologiebasierte Lösungen angeben. Dies hängt nämlich von vielen verschiedenen Variablen ab“, erklärte der Beamte.

Eines der Probleme, die die Gesetzgebung zum Auffangen und Lagern von CO2 so komplex werden lassen, ist die Tatsache, dass noch viele Fragen offen sind.

So ist zum Beispiel noch nicht klar, wie viele Emissionen nach 2050 noch übrig sein werden und aus welchen Sektoren sie stammen werden. Im Moment geht man davon aus, dass der Agrarsektor und Teile der Industrie weiterhin zu diesen Restemissionen beitragen werden.

Der Knackpunkt ist die Frage, wie festgelegt werden soll, welche Sektoren weiterhin Restemissionen produzieren dürfen, so Eve Tamme, Geschäftsführerin der politischen Gruppe Climate Principles.

„Idealerweise wäre es sinnvoller gewesen, mit einer Strategie zum CO2-Abbau auf europäischer Ebene zu beginnen, die all diese verschiedenen Prinzipien oder Regeln festlegt: dass wir die einzelnen Ziele haben, was dies in der Praxis bedeutet, welche Art von Restemissionen wir anstreben und wer die schwere Arbeit des Abbaus übernehmen soll“, erklärte sie gegenüber EURACTIV.

Die Frage, wie solche Projekte die CO2 aus der Atmosphäre entfernen – sowohl technologiebasierte als auch naturbasierte – finanziert werden sollen, ist eine weitere Frage, die gerade erst angegangen wird.

Für technische Lösungen erwägt die EU-Kommission den Innovationsfonds, der dem EU-Kohlenstoffmarkt angegliedert ist, als wichtigste Finanzierungsquelle.

Für den naturbasierten Abbau liegen Ideen vor, Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik zu verwenden, um Landbesitzer:innen Anreize für die Speicherung von Kohlenstoff anzubieten.

Parallel dazu möchte der Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die Landnutzungsverordnung, der finnische Abgeordnete Ville Niinistö, die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandelssystem (ETS) nutzen, um Anreize für die Kohlenstoffspeicherung zu schaffen.

Märkte sind eine weitere potenzielle Einnahmequelle, und sie beginnen bereits zu sprießen. So plant Schweden eine umgekehrte Versteigerung von zwei Millionen Tonnen negativer Emissionen, und die niederländische Rabobank hat einen von mehreren freiwilligen Märkten für den Abbau von Kohlenstoff ins Leben gerufen.

Diesem Flickenteppich aus Käufen von aus der Atmosphäre abgeschiedenen Emissionen fehlt jedoch eine entscheidende Komponente: die Zertifizierung auf EU-Ebene.

Die Europäische Kommission beabsichtigt, Ende des Jahres ein Zertifizierungssystem für die Kohlenstoffentfernung einzuführen. Dies wird weithin als Grundstein für einen glaubwürdigen und verlässlichen Zertifizierungssystem angesehen.

„Unabhängig davon, für welches Modell [der Finanzierung] man sich entscheidet, braucht man zunächst eine glaubwürdige Zertifizierung“, sagte ein Kommissionsbeamter.

„Man muss wissen, wie lange und wie viele Tonnen CO2 gespeichert werden und welche möglichen negativen Auswirkungen, beispielsweise auf die biologische Vielfalt, damit verbunden sind“, erklärte der Beamte.

Die EU-Exekutive muss eine solide Zertifizierung vorlegen, die sich mit der Frage der Dauerhaftigkeit befasst, sagte Mark Preston Aragonès, politischer Referent bei der NGO Bellona Europa.

Die Kommission sollte sich darauf konzentrieren, „richtig und nicht schnell“ zu zertifizieren und die verbleibende Zeit bis 2030 als Lernkurve nutzen, in der Fehler leicht behoben werden können, sagte er gegenüber EURACTIV.

Letztendlich könnte dies zu einem Markt für die Beseitigung von Kohlenstoff führen, vergleichbar mit dem EU-Emissionshandelssystem. Allerdings liegt dies für die Europäische Kommission in weiter Ferne. Sie konzentriert sich zunächst auf die Schaffung ihres Zertifizierungssystems, um Transparenz und Glaubwürdigkeit herzustellen.

Während Frankreichs Landwirtschaftsminister Denormandie den Enthusiasmus für kohlenstoffarme Landwirtschaft lobte, wurden auf dem Treffen der EU-Agrarminister:innen in Straßburg knifflige offene Fragen zu dem Thema deutlich.

Hürden für die Zertifizierung

Trotz der eindeutigen Notwendigkeit einer Zertifizierung bestehen noch einige Hürden, die die Europäische Kommission überwinden muss.

Erstens können naturbasierte Lösungen nicht auf Dauer bestehen und müssen in irgendeiner Form überwacht werden.

„Was passiert zum Beispiel, wenn eine zertifizierte Waldsenke in Flammen aufgeht?“, fragte Artur Runge-Metzger, Direktor der Klimaschutzabteilung der Kommission.

„Die Gesetzgebung muss in der Lage sein, mit einer solchen Situation umzugehen, um sicherzustellen, dass es am Ende des Tages eine physische Entnahme für jedes ausgestellte Zertifikat – oder jede Währung – gibt“, teilte er EURACTIV in einem Interview im Oktober 2020 mit.

Diese Frage der Dauerhaftigkeit steht im Mittelpunkt der Bedenken der politischen Entscheidungsträger:innen. „Es besteht immer das Risiko einer Umkehrung und dass das CO2 wieder in die Atmosphäre gelangt“, sagte ein Kommissionsbeamter. „Wir müssen dieses Risiko minimieren und auch die Haftung für den Fall einer Umkehrung festlegen. Man muss sehr vorsichtig sein, was die Messungen und die Ungewissheiten angeht, die mit den zu zertifizierenden CO2-Entfernungsmethoden verbunden sind“, erklärte er.

Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten ist Timmermans davon überzeugt, dass eine Berechnungsmethode entwickelt werden kann, um das Problem der Dauerhaftigkeit in den Griff zu bekommen. „Wenn wir zu einer Methode kommen, einer robusten Methode zur Zertifizierung des entfernten CO2s, dann denke ich, dass auch die Frage der Dauerhaftigkeit geklärt werden kann“, sagte er.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Entwicklung eines Anrechnungssystem, das verhindert, dass aus der Atmosphäre entferntes CO2 doppelt angerechnet wird.

„Wir sollten ein strenges Anrechnungssystem haben, das aufzeigt, dass die CO2-Reduzierungen in der Natur zunehmen, und das dann einen sozialen Akzeptanz- und Unterstützungsmechanismus für Bioökonomielösungen schafft, die in diesem Rahmen erfolgen“, sagte Ville Niinistö, der Verhandlungsführer des Parlaments für die Landnutzungsverordnung.

„Wenn dieser Rahmen solide ist, dann kann alles, was innerhalb dieses Rahmens geschieht, mit gutem Gewissen als umweltfreundlich verkauft werden“, sagte er gegenüber EURACTIV.

Es bleibt abzuwarten, wie ein solches Zertifizierungssystem konzipiert sein wird. Sicher scheint jedoch zu sein, dass es sich um ein System auf EU-Ebene handeln würde.

„Wir würden auf jeden Fall die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen in ganz Europa anstreben. Ich denke also, dass wir alle die gleichen Prinzipien und die Anerkennung bestimmter Methoden in der EU haben sollten“, sagte ein Kommissionsbeamter gegenüber EURACTIV.

Während die meisten der Meinung sind, dass sowohl die Beseitigung als auch die Verringerung von Emissionen notwendig sind, wenn Europa Netto-Null-Emissionen erreichen will, gibt es Bedenken, dass eine zu starke Ausrichtung auf CO2-Auffang- und Lagersysteme den Umweltverschmutzer:innen einen Freibrief ausstellen könnte.

Die Verwendung technischer Lösungen und die Vernachlässigung des übermäßigen Verbrauchs und Verwendung natürlicher Ressourcen, die die Klimakrise verursachen, werden nicht ausreichen, sagte Niinistö gegenüber EURACTIV.

Die Europäische Kommission ist sich dieses Problems sehr wohl bewusst und sagt, dass die Reduzierung der Emissionen ihre „erste Priorität“ ist. Idealerweise müssen Reduktion und Abbau Hand in Hand gehen, argumentiert sie.

„Wir müssen damit beginnen, [Kohlenstoff] nicht in die Atmosphäre zu entlassen. Aber selbst wenn wir aufhören, ihn in die Atmosphäre auszustossen, gibt es immer noch so viel Kohlenstoff, dass er auch wieder entnommen werden muss“, sagte Timmermans.

„Man kann nicht sagen, dass die Technologie alles lösen wird und wir einfach darauf warten können, dass die Technologie alle Probleme löst – das wäre völlig unverantwortlich“, fügte er hinzu. „Gleichzeitig haben wir aber auch gesehen, dass Investitionen in neue Technologien sehr positive Ergebnisse liefern“, so Timmermans weiter.

Um diese Art “ moralischen Risikos “ zu vermeiden, schlagen einige vor, den Zugang zum CO2-Abbaumarkt nur denjenigen vorzubehalten, die nachweisen können, dass sie ihren Teil zur Reduzierung der Emissionen beigetragen haben.

„Man könnte Regeln aufstellen, die besagen, dass man sich tatsächlich qualifizieren muss, um Emissionsreduktionen nutzen zu können. Das heißt, man muss seine Emissionen auf ein bestimmtes Niveau reduzieren, bevor man CO2 auffangen und verbrauchen darf“, sagte Tamme.

Ihrer Meinung nach ist es deshalb wichtig, getrennte Ziele für CO2-Auffang- und Reduzierung zu haben. Als die Europäische Kommission zum ersten Mal ihr ehrgeizigeres Ziel für die Emissionsreduzierung bis 2030 vorschlug, wurde sie dafür kritisiert, dass sie ein „Netto“-Ziel aufgestellt hatte, das die Linie zwischen Reduktion und Abbau verwischte.

Später stellte sie jedoch klar, dass die Rolle der Kohlenstoffentfernung auf 225 Millionen Tonnen CO2 begrenzt werden sollte, um die Abhängigkeit von diesen begreznt werden sollten.

Laut Preston Aragonès muss sich die Diskussion um den CO2-Abbau von der Nachfrage hin zu der realistischen Menge, deren Entfernung verschieben, die geliefert werden kann.

„Wir müssen uns vor dem Hype hüten“, sagte er gegenüber EURACTIV.

„Der Kauf eines Ausgleichs sollte nicht als ‚Seht her, ich bin klimaneutral. Ich habe Ausgleiche gekauft‘. Es sollte als Schande angesehen werden, in dem Sinne: ‚Ich emittiere immer noch. Also muss ich kompensieren'“, erklärte er.

Auch die Europäische Kommission macht sich laut Preston Aragonès dieses übermäßigen Vertrauens schuldig. Er warnte, dass die Vorstellung, negative Emissionen könnten einfach „die Kluft schließen“, ohne die Hindernisse zu berücksichtigen, die dies verhindern, zu “ ziemlich aufgeblasenen“ Zahlen führen kann.

Europa hat ein Abfallproblem. Im Jahr 2018 wurden in der EU über zwei Millionen Tonnen Müll behandelt, von denen knapp die Hälfte auf Deponien landet, wo sie klimaschädliche Methanemissionen freisetzen.

[Bearbeitet von Frédéric Simon]

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