ISS: Matthias Maurer und sein Spaziergang bei 28.000 Stundenkilometern

2022-08-27 03:29:54 By : Ms. Alice Lee

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Matthias Maurer musste für sechseinhalb Stunden die ISS verlassen, um Arbeiten an der Außenhülle der Raumstation zu verrichten. Am Ende erlebte er einen Schreckmoment.

Matthias Maurer, Deutschlands Mann im All, hat an seinem 400 Kilometer über der Erde gelegenen Arbeitsplatz auf der internationalen Raumstation ISS einen sehr eng getakteten Tag. Eine Anfrage unserer Redaktion vor einigen Wochen beim Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Oberpfaffenhofen, ob denn mal ein zweiminütiges Telefongespräch mit dem deutschen Astronauten möglich sei, wurde freundlich, aber abschlägig beschieden. „Der Arbeitstag von Herrn Maurer ist so dicht, für solche Termine hat er schlicht keine Zeit“, sagte DLR-Pressesprecherin Bernadette Jung.

An diesem Mittwoch hätte der Saarländer für solche journalistischen Bedürfnisse sicher erst recht keinen freien Kopf gehabt. Denn er musste raus aus der Station – und im All spazieren gehen. Und das bei einer Geschwindigkeit von rund 28.000 Kilometern pro Stunde. Die Mission war erfolgreich, doch am Ende erlebte Maurer noch einen Schreckmoment.

Der Einsatz im Vakuum zusammen mit seinem Kollegen Raja Char sollte immerhin rund sechseinhalb Stunden dauern. Geleitet wurde er von dem Amerikaner. Raja Char trug einen weißen Anzug mit roten Streifen. Auf Maurers Anzug war die deutsche Fahne zu sehen. Die roten Streifen hatten aber vor allem den Grund, dass die Leitzentrale die beiden Raumfahrer auf dem Bildschirm optisch gut unterscheiden konnte.

Zu den Aufgaben der zwei Männer gehörte etwa die Installation von Schläuchen an einem Heizstrahlventilmodul, das – zur Regulierung von Systemtemperaturen – Ammoniak durch die wärmeabgebenden Heizelemente der Station leitet. Klingt ziemlich kompliziert, war aber für einen promovierten Materialwissenschaftler wie Maurer wohl kein Problem. Des Weiteren ging es um die Anbringung eines Strom- und Datenkabels am Columbus-Modul der europäischen Weltraumbehörde Esa, den Austausch einer Außenkamera sowie weitere Hardware-Nachrüstungen.

Bei diesem mit der Bezeichnung „US EVA 80“ betitelten Außenbordeinsatz handelte es sich um den 248. Weltraumspaziergang, der zu Montage-, Modernisierungs- und Wartungsarbeiten an der ISS vorgenommen wurde.

Als der Saarländer nach Stunden im freien Kosmos am Mittwoch gemeinsam mit seinem US-Kollegen wieder in die ISS eingestiegen war, wurde etwas Wasser in seinem Helm entdeckt, wie die US-Raumfahrtbehörde Nasa während ihrer Live-Übertragung mitteilte. Maurer sei aber "bei guter Gesundheit" und "nicht in Gefahr" gewesen, hieß es von der Nasa. Das Geschehnis solle untersucht werden.

Der Vorfall weckt Erinnerungen an den italienischen Astronauten Luca Parmitano. Als der 2013 auf der ISS stationiert war sammelte sich bei einem Außeneinsatz so viel Wasser in seinem Helm, dass er fast ertrunken wäre. Im Helm von Maurers Außeneinsatz-Kollegen Chari sammelte sich nach Nasa-Angaben am Mittwoch kein Wasser an.

Schon zuvor hatte Maurer während des Einsatzes mit kleineren Problemen zu kämpfen gehabt: Zunächst hatte eine lockere Kamera an seinem Helm, die dann mit Draht provisorisch befestigt wurde, die Arbeiten vorübergehend verzögert. Danach verhedderte er sich zwischenzeitlich in seinen Halteseilen, konnte sich aber mit Hilfe von Anweisungen aus dem Kontrollzentrum wieder befreien.

Matthias Maurer war dabei der zwölfte Astronaut der Esa, der einen solchen Einsatz durchführte. Und der vierte deutsche Astronaut – nach Thomas Reiter (2006), Hans Schlegel (2008) und Alexander Gerst (2014).

Solcherlei Weltraumspaziergänge werden übrigens nur anberaumt, wenn sie wirklich sein müssen. Sonst muss der Roboterarm der ISS Aufgaben im Außen erledigen. Das hat seine guten Gründe. Man muss dazu das Jahr 1965 im Kopf haben. Damals stieg der sowjetische Kosmonaut Alexej Leonow zum allerersten Spaziergang eines Menschen im All aus. Die Angelegenheit wäre beinahe in einer Katastrophe geendet. Sein Raumanzug hatte sich nämlich, was man vorher wohl nicht so recht eingeplant hatte, durch den Druckunterschied zum Vakuum des Weltraums so stark aufgebläht und versteift, dass Leonow ein Wiedereinstieg in die Luftschleuse unmöglich wurde. Leonow verringerte daraufhin den Druck in seinem Anzug mit einem Ventil, das sich im Bereich seines Oberschenkels befand. Danach passte sein Anzug wieder durch die Schleuse. Gerade noch einmal gut gegangen.

Der Einsatz von Leonow dauerte nur zwölf Minuten, der von Matthias Maurer hingegen besagte sechseinhalb Stunden. Aber auch abseits von spannenden Arbeiten im Vakuum des Alls ist derzeit viel los auf der ISS. Vergangene Woche erst waren die drei russischen Kosmonauten Oleg Artemjew, Denis Matwejew und Sergej Korssakow auf der Station angekommen – und wurden von den bereits anwesenden vier Amerikanern, zwei Russen und dem Deutschen mit viel Hallo und großer Freude begrüßt.

Die Spannungen zwischen Russland und dem Westen auf dem Planeten Erde, sie setzen sich hoch oben zum Glück nicht fort. Für Debatten im Internet hatten aber die gelb-blauen Farben auf den Anzügen der russischen Kosmonauten gesorgt. Waren das etwa Sympathiekundgebungen für die Ukraine? Nein, waren sie nicht. Was die drei Kosmonauten über den Konflikt denken, ist nicht bekannt. Aber die Farben waren lediglich jene der Staatlichen Technischen Universität Moskau, deren Absolventen die Kosmonauten sind.

Matthias Maurer, der am vergangenen Freitag im All seinen 52. Geburtstag feierte, wollte die Neulinge und natürlich auch den Rest der Crew im Orbit dieser Tage mit einem selbst gekochten Essen willkommen heißen, „ein bisschen saarländisches Essen“, wie er mitteilte. Ob er sein Versprechen inzwischen eingelöst hat, ist nicht bekannt, ebenso wenig, was er kochen wollte und wo er die saarländischen Zutaten im All herbekommt.

Aber Maurer hat ja noch ein bisschen Zeit. Seine Mission, die am 11. November begann, soll noch bis Ende April dauern. (mit dpa)