Stammzell-Banken: Heilung durch Menstruationsblut? - FOCUS online

2022-08-13 12:47:11 By : Ms. Swing Chan

Forscher haben Stammzellen im Menstruationsblut entdeckt. Ein US-Unternehmen bietet an, diese Zellen einzufrieren. Deutsche Experten sehen das skeptisch.

In manchen Kulturen gelten Frauen als unrein, wenn sie ihre Monatsblutung haben. Glaubt man der US-Firma „C’elle“, sollten Frauen ihre Periode lieber als ein „monatliches Wunder“ betrachten, so der Werbe-Slogan. Ab 499 US-Dollar (etwa 342 Euro) können Frauen dort eine Probe ihres Monatsbluts aufbereiten und darin enthaltene Stammzellen für ein Jahr einfrieren lassen. Heute erscheint eine wissenschaftliche Studie, die zeigt, dass Regelblut die begehrten Zellen enthält: Eine Arbeitsgruppe um Xialong Meng vom Bio-Communications Research Institute in Wichita im US-Staat Kansas beschreibt im Fachblatt „Journal of Translational Medicine“ eine neue Form der Tausendsassa-Zellen, die sich angeblich in mindestens neun unterschiedliche Gewebearten verwandeln können – von Nerven- bis hin zu Herzmuskelzellen. Die Forscher tauften diesen Stammzelltyp „Endometrial Regenerative Cells“, kurz ERC. Er stammt aus der Gebärmutterwand fruchtbarer Frauen. Sie baut jeden Monat eine Schleimhaut auf, in die sich ein befruchtetes Ei einnisten könnte. Schon aus fünf Millilitern Menstruationsblut konnten die Forscher Stammzellen gewinnen. Im Labor teilten sich die Zellen insgesamt 68-mal alle 20 Stunden und damit deutlich schneller als Zellen aus dem Nabelschnurblut, einer ebenfalls diskutierten und bereits genutzten Stammzellquelle. Die Wissenschaftler führen vor allem bestimmte biochemische Marker als Beweis für ihren Züchtungserfolg an. Das sind Signale, die Stammzellen typischerweise auf ihrer Oberfläche tragen. Fragliche Beweise Doch „typischerweise“ heißt nicht, dass eindeutige Beweise existieren, gibt die Gesine Kögler, Leiterin der „José Carreras Stammzellbank“ in Düsseldorf zu bedenken. „Erst kürzlich sind einige Studien erschienen, die belegen, dass es gerade bei bestimmten Markern immer wieder zu falsch-positiven Aussagen kommt. Die scheinbar nachgewiesenen Merkmale liegen gar nicht vor“, kritisiert Gesine Kögler im Gespräch mit FOCUS Online. Ob die Tausendsassa-Zellen also wirklich halten, was sie versprechen, bleibt zumindest vorerst fraglich. Auch ist nicht weiter verwunderlich, dass Gewebe, das sich auch im Erwachsenenalter ständig erneuert, Stammzellen enthält. Forscher haben gerade in den letzten Jahren immer mehr sogenannte adulte Stammzellen beschrieben, etwa im Knochenmark, in der Haut, im Fettgewebe und sogar in Milchzähnen. Auch Menstruationsblut sei bereits als Quelle bekannt, sagt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut. Es ist in Deutschland unter anderem für die Zulassung von Verfahren zuständig, mit deren Hilfe man Stammzellen gewinnen kann. „Als Kritikpunkt sehe ich, dass ich mir nicht vorstellen kann, Menstruationsblut steril zu gewinnen. Die Proben würden mit Sicherheit auch Bakterien und Pilze enthalten.“ Um solche Verunreinigungen zu beseitigen, hat die Arbeitsgruppe um Xialong Meng der Stammzellzüchtung Antibiotika hinzugefügt – ein Verfahren, das in Europa zumindest nach derzeitigem Recht nicht vorgesehen ist, sagt Susanne Stöcker. „Ich sehe keinen Vorteil darin, mesenchymale Stammzellen auf diese Weise zu gewinnen“, sagt die Stammzell-Expertin Gesine Kögler. „Man kann diese Zellen im Prinzip auch steril aus dem Knochenmark gewinnen.“ Blut aus dem Plastiktrichter Die Forscher berichten, dass sie das Menstruationsblut der 25 Frauen in Menstruationstassen aufgefangen haben. Das ist ein kelchähnliches Produkt aus Latex oder Silikon, das Frauen ähnlich wie einen Tampon einführen können, um ihr Monatsblut aufzufangen. Es speichert bis zu 30 Milliliter Flüssigkeit und kann bis zu zwölf Stunden lang im Körper verbleiben. Diese Form der Monatshygiene gibt es bereits seit über 70 Jahren, hat sich jedoch nie durchgesetzt. In den USA sind solche Plastikkappen ab zirka 20 Euro erhältlich. Laut Herstellerangaben kann man sie bis zu zehn Jahre lang verwenden. Auch das Unternehmen C’elle bietet solche Kappen an, um das Blut aufzufangen. Per Expressversand kommt die Blutprobe dann ins Labor, wo sie aufgearbeitet und eingefroren wird. Für Deutschland nicht geplant Deutsche Frauen, die gern Stammzellen aus ihrem Regelblut einfrieren lassen wollen, werden wohl noch zumindest für einige Zeit das Nachsehen haben. Deutsche Unternehmen planen nach Informationen von FOCUS Online noch keine Markteinführung dieses Systems. „Wer das machen möchte, der soll es machen“, sagt Anja Dörner, Pressesprecherin des Unternehmens Vita 34. Eltern können dort das Nabelschnurblut ihrer Kinder einfrieren lassen, um bei Bedarf über die darin enthaltenen Stammzellen zu verfügen. „Wir werden das auf keinen Fall anbieten“, ergänzt sie. Auch die deutsche Firma Stellacure will diesen Weg nicht gehen. „Die Art der Gewinnung muss für die Arzneimittelherstellung geeignet sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Frauen dies fachgerecht auffangen sollen. Außerdem müssen diese Zellen später auch einsetzbar sein?“, fragt Pressesprecherin Susanne Engel-Hömke. Nur begrenzte Eignung Was Frauen, die ihr Blut einfrieren lassen, eines Tages damit anfangen können, ist fraglich. Für vergleichbare Stammzellen aus Knochenmark und Nabelschnurblut gibt es bislang nur eine klinische Anwendung, nämlich die Spende dieser Zellen an Leukämiekranke, deren Gewebemerkmale zufällig übereinstimmen. Davon hat der Spender jedoch keinen Nutzen. Als zweite Anwendung erproben Mediziner zurzeit, ob bestimmte Stammzellen aus dem Nabelschnurblut auch jenseits der Knochenmarktransplantation die Heilungschancen von Leukämiekranken verbessern. Alle anderen denkbaren Therapien, etwa zur Unterstützung der Regeneration des Herzmuskelgewebes nach einem Infarkt, stecken in den Kinderschuhen. Ob und wann ein Großteil der Bevölkerung davon profitieren wird, bleibt offen. Fairerweise weist C’elle zumindest auf der Homepage darauf hin, dass es noch einige Jahre dauern könnte, bis Forscher die verheißungsvollen Therapie-Ooptionen von Stammzellen entwickelt haben.

Alle Inhalte, insbesondere die Texte und Bilder von Agenturen, sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur im Rahmen der gewöhnlichen Nutzung des Angebots vervielfältigt, verbreitet oder sonst genutzt werden.