Martensitische Stähle profilieren sich im Tieftemperaturbereich

2022-09-17 09:10:22 By : Mr. Mike Lee

Der Wechsel von austenitischen zu martensitischen Stählen ermöglicht die Fertigung dünnwandigerer Gussteile für Anwendungen im Tieftemperaturbereich. Das zeigt eine Legierung, die als erste aus dem kaltzähen Blech- und Schmiedestahl X8Ni9 hervorgangen ist. Sie hat eine höhere Streckgrenze als austentitische Stähle.

An Stähle, die im Tieftemperaturbereich zum Einsatz kommen, werden besondere Anforderungen gestellt – müssen sie doch Temperaturen von bis zu –196 °C standhalten. Bisher wird dabei auf austenitische Legierungen zurückgegriffen. Sie sind aufgrund ihrer niedrigen Streckgrenze allerdings der Gefahr der frühen Verformung ausgesetzt und müssen deshalb besonders dickwandig gegossen werden. Das war der Ausgangspunkt für die Entwicklung des kaltzähen Werkstoffs Dux Cryo, der bei einer guten Zähigkeit deutlich höhere Festigkeitswerte aufweist. Der Vorteil für den Gussteilanwender liegt in der dünnwandigeren Konstruktion der Teile. Das spart nicht nur Gewicht ein, sondern auch Kosten (Bild 1).

Anstoß für die Entwicklung des kaltzähen Stahls gab ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördertes umfangreiches Forschungsprojekt. Man setzt seitdem in der Unternehmensgruppe Schmolz + Bickenbach Guss, Krefeld, für Aufgaben im Tieftemperaturbereichen auf martensitische statt austenitische Legierungen. Diese Werkstoffe lassen sich ausgezeichnet vergüten. Dadurch können sie eine deutlich höhere Streckgrenze (Rp0,2 ≥ 490 N/mm2) die alternativen austenitischen Stähle haben – eine Eigenschaft, die bei solch extremen Temperaturen von besonderem Vorteil ist.

Allerdings werden nicht nur an die Festigkeit, sondern auch an die Zähigkeit (KV(–196 °C) ≥ 40 J) besondere Ansprüche gestellt. Voraussetzung für eine hohe Zähigkeit bei tiefen Temperaturen sind vor allem niedrige Gehalte an ausgewählten Spurenelementen. Andernfalls führen die dadurch hervorgerufenen Seigerungen zu einer Versprödung des Gussteils. Für Schmolz + Bickenbach Guss bestand die Herausforderung deshalb darin, den Fokus bei der Gussteilherstellung auf ein optimiertes Gefüge zu legen und dadurch für eine ausreichende Zähigkeit der Gussteile zu sorgen – und zwar ohne dass Risse im Volumen des Gussteils auftreten.

Ausgangspunkt des Forschungsprojekts war der kaltzähe Werkstoff X8Ni9. Er wird standardmäßig als Blech- und Schmiedematerial für Anwendungen bis –196 °C eingesetzt. Eine Gussvariante des Werkstoffs existierte jedoch nicht aufgrund der hohen Rissempfindlichkeit des grobkörnigen Primärgefüges. Ziel war es, auf Basis von Erkenntnissen aus der Analytik, der Metallurgie und der Wärmebehandlung den Werkstoff auch als Gussmodifikation darzustellen.

Dazu wurden nicht nur umfangreiche Werkstoffuntersuchungen und eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt, sondern auch mit externen Werkstoffexperten zusammengearbeitet. Moderne Auslegungs- und Optimierungsprozesse kamen zur Anwendung, wie die Simulation der Gießtechnik, thermodynamische Berechnungen des Werkstoffverhaltens und der Wärmebehandlung sowie Analysemethoden zur Auswertung der Untersuchungsergebnisse. So wurde unter anderem festgestellt, dass die Anforderungen an den Rohstoffreinheitsgrad sowie an die Schmelz- und Formtechnik von besonderer Bedeutung sind. Zusätzlich müssen auch die Wärmebehandlungsparameter hochpräzise eingestellt werden.

Auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse erfolgte im Anschluss die Fertigung eines Versuchsbauteils. Die Prozesskette erstreckte dabei sich von der Erschmelzung und dem Abguss über die Wärmebehandlung bis hin zur mechanischen Bauteilerprobung. Nach dem Abguss wurden die Gussteile umfangreichen Kontrollen unterzogen. Sie umfassten nicht nur Sicht- und Farbeindringungsprüfungen, sondern auch auch Ultraschall- und Röntgenuntersuchungen. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass das Legierungskonzept zusammen mit den gewählten Abkühlbedingungen tatsächlich rissfreie Gussstücke generiert. Zusätzlich fand zur Optimierung der mechanischen Kennwerte eine Reihe von Wärmebehandlungsversuchen statt.

Das Ergebnis dieser Versuchsreihe ist der kaltzähe Werkstoff Dux Cryo. Er zeichnet sich durch eine erhöhte Streckgrenze und eine hervorragende Tieftemperaturzähigkeit aus, was Voraussetzung für eine deutlich dünnwandigere Gussteilkonstruktion und -fertigung ist. Dünnwandige Gussteile erhöhen die Gestaltungsfreiheit der Konstrukteure, führen zur Gewichts-, Rohstoff- und Kosteneinsparung. Aufgrund der chemischen Zusammensetzung ist die martensitische Legierung günstiger als Austenite. Sie enthält bei ähnlichen Nickelgehalten kein Chrom. Das erleichtert die mechanische Gussteilbearbeitung.

Der kaltzähe Gusswerkstoff kann Temperaturen von –100 bis hinab zu –196 °C ausgesetzt werden. Anwendungen gibt es zum Beispiel überall dort, wo Kryogene wie Trockeneis oder flüssiger Sauerstoff und Stickstoff zum Einsatz kommen. Das gilt unter anderem für Luftverflüssigungs- und -zerlegungsanlagen, in denen Luftbestandteile thermisch getrennt werden, um Stickstoff, Sauerstoff, Argon und andere Edelgase in hochreiner Konzentration flüssig oder gasförmig zu gewinnen.

Ein weiterer zukunftsträchtiger Anwendungsbereich ist die Erdgasverflüssigung (Bild 2). Dazu wird das Erdgas in sogenannten LNG-Terminals bis hinab auf –164 °C gekühlt. Entsprechend hoch sind die werkstofflichen Anforderungen an die eingesetzten Anlagenkomponenten. Ähnliches gilt für die Kaltvermahlung und das kryogene Recycling. Diese Verfahren kommen zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie und im Bereich der Faserverbundwerkstoffe zur Anwendung. Ziel ist dabei die Zerkleinerung von Werkstoffen mit niedrigem Erweichungspunkt.

Auch die Bereiche Bodengefrierung, industrielle Kältetechnik sowie Ölsandgewinnung zählen zu den potenziellen Anwendungsbereichen. Das gleiche gilt für Bauteile, die in Tieftemperaturregionen eingesetzt werden: Ob Pumpen in Alaska oder Offshore-Anlagen in der Tiefsee – aufgrund der hohen Festigkeit, der hohen Streckgrenze und der hervorragenden Tieftemperaturzähigkeit ist der Werkstoff Dux Crayon für diese Anwendungen geeignet.

* Dr. Petra Becker ist Leiterin der Forschung & Entwicklung bei Schmolz + Bickenbach Guss.

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